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Standards der Neurodermitisschulung im Kindes- und Jugendalter – Beschreibung eines Modellvorhabens des Bundesministeriums für Gesundheit

Autorenliste: S. Scheewe, U. Gieler, M. Fartasch, J. Ring. D. Staab, R. Stachow, R. Szczepanski, U. Wahn, P. Warschburger, K. Wilke, P. Wolf

Inhaltsübersicht:

Vorgeschichte:

Nach einer Ausschreibung des Bundesministeriums für Gesundheit im Deutschen Ärzteblatt 1996 mit dem Thema "Modellvorhaben zur besseren Vorsorge und Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit atopischen Ekzem (Neurodermitis)" wurden von über 50 Antragstellern folgende Zentren/Kliniken zur Entwicklung von Rehabilitationsmodellen im Sinne des § 43 SGB 5 ausgewählt:

Die Teams der Antragsteller bestehen aus Kinderärzten und/oder Dermatologen, Fachärzten für Psychotherapeutische Medizin, Psychologen bzw. Pädagogen, Diätassistentin, Ökotrophologen und Pädagogen und haben es sich zur Aufgabe gemacht, strukturierte Kinder- und Elternschulungen durchzuführen und diese im Sinne des Modellvorhabens auf ihre Effektivität zu überprüfen. Dazu bedurfte es einer Konsensfindung über Inhalte und Durchführung der Patientenschulung, die in diesem Artikel in Stichworten dargestellt wird und für alle Schulungen Qualitätsmassstäbe setzt. Darüberhinaus wurde auf Anraten der Krankenkassen, die sich auf die Finanzierung der Schulungsdurchführung während des Modellvorhabens (Beginn 1/2000, Ende der Evaluationsphase 9/2002) einigten, bereits jetzt schon die Qualitätssicherung zur Ausbildung von Neurodermitis-Trainern festgelegt. Im folgenden werden Inhalte und Qualitätssicherung der Patientenschulung sowie die Übergangsregelung für die Neurodermitis-Trainer-Ausbildung beschrieben.

Ziele des Modellvorhabens:

In einem manualisierten Schulungsprogramm von 6 x 2 Stunden, ergänzt durch eine Einführungsrunde und eine Nachschulung sollen die multifaktoriellen Einflussfaktoren auf die Neurodermitis kennengelernt und individuelle Therapiestrategien entwickelt werden.

Medizinische und psychologische Ziele ergänzen sich hierbei in einem interdisziplinären Therapieansatz, der aus 4 Säulen besteht:

So kann beispielsweise die individuell adaptierte Lokalbehandlung mit der richtigen Fett/Feuchtigkeitsmischung nur erfolgreich sein, wenn eine möglicherweise bestehende Abwehrhaltung gegen das "ewige Eincremen"in der Schulung abgebaut wird.

Präventive Maßnahmen in der Neurodermitisbehandlung zielen auf eine umfassende Versorgung von Neurodermitis-Patienten und ihren Eltern, wobei strukturierte Schulungsprogramme das Leben mit der Erkrankung erleichtern. Juckreizbewältigungsstrategie, die richtige Basispflege, eine krankheitsangemessene und bedarfsgerechte Ernährung, Entspannungstraining, Streßbewältigung und der Umgang mit psychosozialen Konflikten werden in differenzierten Schulungssettings geübt. Sogenannte unkonventionelle Behandlungsmethoden sollen vom Patienten und dessen Eltern in ihrer Bedeutung für den Heilungsverlauf besser eingeschätzt werden. Der Kinderarzt bzw. Dermatologe kann für sich selbst – sowohl als Schulungsteam-Mitglied als auch in seiner tgl. Praxis – einen zufriedenstellenderen Zugang zu seinen chronisch kranken Hautpatienten finden, und ihnen unterstützend zur Seite stehen können. Patientenschulung soll die ambulante und stationäre Therapie im Sinne der Rehabilitation (§ 43 SGB V) ergänzen und eine effizienteVersorgung gewährleisten.

Krankheitsbedingte Belastungsfaktoren:

Neurodermitiskranke Kinder und sekundär ihre Eltern leiden oft unter spezifischen Belastungsfaktoren (Juckreiz, lästiges Eincremen, Angst vor Arzneimittelnebenwirkungen, Ernährungseinschränkungen, mögliche Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung) und allgemeinen Belastungsfaktoren (Ängste durch unsichere Prognose, zeitliche Belastung durch Arztbesuche, Schlaflosigkeit, Streß). Solche Belastungsfaktoren können in den Kleingruppenschulungen aufgearbeitet und angemessene Bewältigungsstrategien eingeübt werden. Hier kann beispielsweise Cortisonangst ausgesprochen und durch unterstützende Information über die richtige Anwendung und durch Erfahrungsaustausch der Betroffenen abgebaut werden.

Das Thema Streß und Streßbewältigung spielt eine zentrale Rolle und wird im ersten Schritt durch Selbstbeobachtungsbögen, auf die die Betroffenen zwischen den Schulungsterminen ihre natürlicherweise auftretenden Streßsituationen eintragen, erfasst. Nach initialen Streßwahrnehmungsübungen können Ansätze für eine bessere Streßbewältigung erarbeitet werden. Ziel ist hier, inadäquate Vorstellungen abzubauen und Schuldgefühle zu thematisieren.

Worauf stützen sich die jetzt entwickelten Programme?

Neben dem Expertenwissen der beteiligten Zentren sind es im wesentlichen 4 Patienten-schulungsprogramme, die Mitte der 90er Jahre bis heute durch kontrollierte Studien die Wirksamkeit von verhaltenstherapeutisch orientierten Schulungen belegt haben:

Organisation der Schulung

Lerntheoretische Überlegungen bevorzugen das Modell des verteilten Lernens. Das Modellvorhaben stützt sich im ambulanten Bereich deshalb auf 6 x 2 Doppelstunden plus Eingangs- und Abschlußgespräch außerhalb der Gruppenschulung. Im stationären Rahmen, beispielsweise in der Rehaklinik, können diese Stunden als Einzelstunden auch 2 x pro Woche stattfinden. Das interdisziplinäre Team muß mindestens aus 3 Berufsgruppen (Kinderarzt oder Dermatologe, Psychologe oder Dipl.-Pädagoge mit Zusatzausbildung und Diätassistentin oder Ökotrophologin) bestehen. Kinder von 0 bis 7 Jahre werden im Modellvorhaben nicht geschult, es finden nur fakultativ praktische Übungen zum verbesserten Eincremen bzw. Kratz-Kontrollübungen mit Kleinkindern statt. Der Schwerpunkt liegt hier bei der Elternschulung. In der Gruppe der 8-12 Jährigen werden parallel Eltern und Kinder geschult. Begleitend zur Jugendlichen Schulung (13 bis 18 Jahre) finden fakultativ Elternseminare statt. Die Kinderschulung sollte möglichst von einer schulenden Person durchgängig gestaltet werden, die auch als Bezugsperson fungiert.

Ablauf und Inhalte der Neurodermitisschulung

Hauptaufgabe der Neurodermitis-Schulung ist die Förderung eines optimalen Krankheitsmanagements. Deshalb werden praktische Übungen und Selbstbeobachtung in den Vordergrund gestellt. Wissen wird mit der Zeit vermittelt, Hintergründe gesicherter Erkenntnis verständlich und nutzbar zu machen. Sowohl die Kinder- als auch die Elternschulung orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmer. Dabei wird durch Anknüpfen an Vorerfahrungen und Aufgreifen von Behandlungsvorschlägen den Betroffenen eine besondere Wertschätzung und positive Verstärkung entgegengebracht.

Die wichtigsten Themen der Schulung:

  1. Klinisches Bild der Neurodermitis/Verlauf
  2. Pathophysiologie/Immunologie
  3. Diagnostik
  4. Therapieelemente (Auslösermeidung, Kratzkontrolle, Hautpflege, Badezusätze, Eincremtips, lustbetonte Kommunikation zwischen Eltern und Kind, Licht, UV, Sonnenschutz, Klimatherapie, Ernährung, Berufswahl, Impfung, "alternative" Medizin)
  5. Selbstwahrnehmung zur Anwendung des:
  6. Stufenplan der Lokaltherapie: Stufe 1 – Basispflege Stufe 2 – nicht steroidale Heilsalben (Zink, Leukichthol, Harnstoff, Gerbstoff, Farbstoffe, etc.) Stufe 3 – Cortisonexterna Auf jeder Stufe kühlende Umschläge und andere Kratzalternativen bei Juckreiz.
  7. Entspannungsverfahren, Umgang mit Streß, körpertherapeutische Elemente
  8. Steigerung sozialer Kompetenzen – Familie, Schule, Beruf

Methodik und Didaktik:

Die Neurodermitisschulung wird für den Patienten und seine Eltern effektiv, wenn ein Gleichgewicht von Wissens- und Kompetenzerwerb einerseits und Austausch von Erfahrungen, Gedanken, Gefühlen andererseits zugelassen wird. In Kasten 2 ist stichwortartig die erste Stunde einer Jugendlichenschulung dargestellt.

Beispiel einer Schulungseinheit anhand der ersten Stunde für 13-18 jährige:

Themen:

Programmübersichten zu Kinder- Eltern- und Erwachsenen-Programmen sind den veröffentlichten Trainerleitfäden der o.g. Programme zu entnehmen

Evaluation:

Es liegen Evaluationsinstrumente zur Wirksamkeitsmessung von Neurodermitis-Schulungsprogrammen vor, die Veränderungen von Schweregrad (SCORAD, European Task Force 1993) Juckreiz-Kognitionen und Wahrnehmungen, Lebensqualität, Streßbewältigung, Wissenserwerb und Verhaltensänderung messen (Stangier, Ehlers, Gieler, 1996, Warschburger 1996, von Rüden 1998, Diepgen, Sauerbrey, Fartasch, 1996). In Anlehnung an die Kosten-Nutzen-Untersuchungen bei ambulanten Schulungsmaßnahmen für asthmakranke Kinder und ihre Familien (Scholtz, Haubrock, Lob-Corzilius, Gebert, Wahn, Szczepanski 1996) wurde ein Fragebogen zur Neurodermitis-Schulungskosten-Analyse erstellt.

Neben der Patientenschulung haben jedoch über den Verlauf der Messung – im Modellvorhaben ist eine 1 Jahres Katamnese vorgesehen – auch andere Wirkfaktoren Einfluß auf die gemessenen Parameter. Hier sind vor allem der spontane Krankheitsverlauf im Kleinkindesalter, Veränderungen durch die med. Behandlung oder Veränderung der sozialen Lebensumstände zu nennen.Durch eine bundesweite Durchführung der Neurodermitisschulung nach strukturierten Settings mit einer geplanten Teilnehmerzahl von ca. 1000 geschulten Eltern bzw. Kindern sollen die spezifischen Wirkfaktoren der Schulung erfaßbar werden. Dies setzt nicht nur einen Konsens über die Inhalte sondern auch über die Qualifizierung der Schulenden voraus.

Qualitätssicherung der Neurodermitis-Trainerausbildung

Die Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung e.V. hatte sich bereits zu Beginn des Modellvorhabens zum Ziel gesetzt, durch ein Curriculum der Neurodermitis-Trainer-Ausbildung für die Kinder-, Jugendlichen- und Elternschulung die beschriebenen medizinischen und psychologischen Inhalte sowie deren didaktische Umsetzung an die genannten Berufsgruppen und ihnen angegliederte Berufszweige (Arzthelferinnen in dermatologischen bzw. pädiatrischen Praxen, Erzieher mit Fachschulausbildung, Krankenschwestern/Kinderkrankenschwestern, Pädagogen/Sozialpädagogen) weiterzugeben.

Die Neurodermitis-Trainer-Ausbildung umfaßt:

Die Ausbildung findet an Neurodermitis-Akademien statt, deren Arbeit vom Vorstand der AG Neurodermitisschulung mitteils einer Lehrkommision begleitet und qualitätsgeprüft wird. Die Inhalte des Curriculums wurden in schriftlicher Form durch den Vorstand der AG Neurodermitisschulung festgelegt und sind auf Anfrage dort erhältlich. Derzeit finden Neurodermitis-Trainer-Ausbildungen an der Neurodermitis-Schulungsakademie Sylt (Kinder/Jugendliche/Elterntraining) und der Neurodermitis-Schulungsakademie Gießen (Erwachsenen-Training) statt. Für das Jahr 2000 werden weitere Neurodermitis-Schulungsakademien Neurodermitis-Trainer-Ausbildungen an den Orten der beteiligten Zentren (s.o.) anbieten. Die Lehrkommission überprüft außerdem die Anerkennung von Neurodermitis-Schulungseinrichtungen, die Anerkennung der abgeleisteten Ausbildung zum Neurodermitis-Trainer, die Zulassungsvoraussetzung zum Neurodermitis-Akademie-Dozenten sowie die > Übergangsregelung für Neurodermitis-Trainer.

Anträge, Anfrage, Anmeldungen sind zu richten an die Lehrkommission der AG Neurodermitisschulung e.V. über
Frau Dipl.-Psych. Bea Falk
Charité, Universitätsklinikum
Campus Virchow Klinikum
Klinik f. Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie
Direktor: Prof. Dr. U. Wahn
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin

Literaturangaben beim Verfasser
S. Scheewe
Fachklinik Sylt
Steinmannstr. 52-54
25980 Westerland

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